Samstag, 24. April 2010

dokumentiert: "Rechtsweg selber kaufen"

von Angelika Shams

Der Rechtsweg steht nach Artikel 19, Satz 4 GG allen offen - sollte man meinen. Eine Enteignung ist nach Artikel 14 Abs. 3 GG nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Doch was das Wohl der Allgemeinheit ist, scheint sehr beliebig definierbar zu sein.

Die im folgenden geschilderten Ereignisse sind ein skandalöses Lehrstück über das Demokratieverständnis von Behörden, Gerichten, Kommunen und der Wirtschaft. Es dokumentiert, wie private Wirtschaftsinteressen zum Allgemeinwohl umdeklariert werden, wie man mit Geld seinen Gegnern die Mündigkeit abgkauft und ihnen das Maul stopft und mit welchen anderen Methoden nicht nur fruchtbarer Ackerboden, sondern mit ihm die Grundrechte und der Rechtsstaat zubetoniert werden sollen. Es lehrt aber auch, was wir alle diesem Weg in die Betonrepublik entgegenhalten können.

Der Weg in die Betonrepublik Deutschland

Eine Handvoll miteinander verbandelter Leute mit je eigenen Interessen möchte gerne eine neue Landesmesse in Stuttgart, auf dass hierzulande bezüglich des Messegeschehens endlich in der 'Bundesliga' mitgespielt werden könne, auf Kosten anderer Standorte und der dort arbeitenden Menschen, wie sich von selbst versteht. Sie erreichen, daß das Regionalparlament der Region Stuttgart noch vor jeder Bedarfsanalyse dafür den Standort Filder festsetzt: Flughafen und Autobahn vorhanden, ICE-Trasse in Planung, Fläche zur Erweiterung der geplanten Messe vorhanden - allerdings besteht diese aus einem der besten Ackerböden weltweit.

Planfeststellungsverfahren: Bedarf per Gesetz festgesetzt

Da den Initiatoren dieser Glanzidee bekannt ist, dass dieses Vorhaben bereits im Planfeststellungsverfahren scheitern würde (kein Bedarf, ökologisch unsinnig, Belastungen für die AnwohnerInnen jenseits aller Grenzwerte), wird die Bedarfsanalyse innerhalb dieses Verfahrens zwar durchgeführt, ist aber nachweislich nicht mehr ergebnisoffen. Statt dessen wird dieser Bedarf ganz einfach durch ein Gesetz festgestellt, das eigens für diesen Zweck geschaffen wurde: "Es besteht Bedarf für den Neubau einer Landesmesse. Die Feststellung des Bedarfs ist für die Planfeststellung verbindlich" (Landesmessegesetz § 2, nachzulesen beispielsweise hier).

Umwidmung privatwirtschaftlicher Interessen in 'Allgemeinwohl'

Da den Initiatoren dieser Glanzidee weiterhin bekannt ist, daß Enteignungen "nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig" sind (Art 14, 3 GG) - in der Regel ist damit die Öffentliche Daseinsvorsorge (Straßen, Strom, Wasser, ...) gemeint - wird dieses 'Gemeinwohl' über einen Winkelzug konstruiert. Die Messe wird deklariert als "Maßnahme zur Stärkung der wirtschaftlichen Infrastruktur (...) für das Land Baden-Württemberg" (Landesmessegesetz §1, Absatz 1). Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim leitet daraus die Bedeutung der Messe als "Gut des Allgemeinwohls" ab: Mit dem Messevorhaben werde ein "besonders schwerwiegendes und dringendes öffentliches Interesse verfolgt" schreiben die Mannheimer, und dies lasse grundsätzlich auch den hoheitlichen Zugriff auf privates Grundeigentum und die landwirtschaftliche Nutzung zu.

Verhinderung des bauverhindernden Gangs nach Karlsruhe ...

Da den Initiatoren dieser Glanzidee darüber hinaus schwant, daß ihr Landesmessegesetz vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hätte, tun sie alles, um einen Gang der Betroffenen nach Karlsruhe zu verhindern. Denjenigen (existenzgefährdeten) Landwirten, die den vorgeschriebenen Instanzenweg bereits bis zum Ende beschritten und mittlerweile fristgerecht eine entsprechende Klage mit Eilbedürftigkeit in Karlsruhe eingereicht hatten, wurde der Rechtsweg buchstäblich abgekauft, und das ging so:

... durch Abkaufen des Rechtswegs

Im Enteignungsverfahren hätten die Betroffenen lediglich 20,- Euro pro qm Land erhalten. In einer Situation, in denen den Betroffenen per sogenannter vorzeitiger Besitzeinweisung ihr Land bereits entzogen war und die Bagger des Trägers Messegesellschaft jederzeit hätten vollendete Tatsachen schaffen können, bot das Land Baden-Württemberg (an der Messegesellschaft beteiligt) einen Kaufpreis von 53,- Euro pro qm an. Haken und Bedingung: keiner der fünf darf seine Klage aufrechterhalten - wenn auch nur einer die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht aufrechterhält, tritt das Land von seinem Angebot, das auch für alle weiteren Grunstücksbesitzer gelten sollte, zurück. Wer unter diesen Umständen geklagt hätte, wäre damit ein Risiko von bis zu 5,8 Millionen Euro eingegangen: für den Fall, daß der Prozeß verloren worden wäre, wäre der Kläger dafür verantwortlich, daß alle GrundstücksbesitzerInnen lediglich die im Landesmessegesetz vorgesehenen 20,- Euro erhalten hätten. Der kürzeste Weg zum Bundesverfassungsgericht, der zugleich den Messebau noch hätte stoppen können, war den Landwirten damit de facto versperrt.

Folgen der Erpressung: die Landwirte geben auf

Eine eilends gestartete bundesweite Kampagne, die durch Zusage der Übernahme des Risikos den Rechtsweg wieder freikaufen sollte und von den Landwirten im persönlichen Gespräch begrüßt worden war, kam leider zu spät. Während die Kampagne anlief (binnen weniger Tage gingen bereits Zusagen von Basel bis Bremen in Höhe von ca. 15.000,- Euro ein), drehte das baden-württembergische Staatsministerium die Bauern derart durch die Droh- und Verhandlungsmühle, daß sie aufgaben. (Mittlerweile deutet sich sogar der Verdacht auf arglistige Täuschung an; die Möglichkeiten einer Klage dagegen werden derzeit geprüft.)

Die hauptbetroffene Kommune gibt ebenfalls auf

Die Stadt Leinfelden-Echterdingen, selbst Eigentümerin von zur Enteignung anstehendem Land und auf dem Klageweg, lenkte unter äußerst merkwürdigen Umständen in einer Sondersitzung des Gemeinderats am 26. August ebenfalls ein. Dort wurde selbst von Messegegnern für einen Verkauf der städtischen Flächen geworben mit dem Argument, daß man sich zu diesem Schritt gezwungen sehe, um den betroffenen Landwirten nicht in den Rücken zu fallen. OB Klenk sprach in diesem Zusammenhang von einem "unauflöslichen Zusammenhang zwischen unserer Entscheidung und der der Landwirte". Wenn die Stadt nur einen Quadratmeter der fraglichen Fläche nicht verkaufe, trete das Land Baden-Württemberg von der Vereinbarung mit den Landwirten zurück. Das Pikante: der Rahmenvertrag, um den es ging und den die Bauern erst am folgenden Tag unterzeichnen sollten, lag weder schriftlich vor, noch war er mündlich im Wortlaut vorgetragen worden.

(November 2004, leicht gekürzt)

* * *

Nachtrag
Die Verfassungsbeschwerde eines weiteren Landwirts, der nicht zur Gruppe der fünf Existenzbedrohten gehört hatte, wurde vom BVG aus formalen Gründen nicht zugelassen.

>> BVG-Entscheidung vom 15.02.2007
>> Presse-Erklärung der Schutzgemeinschaft Filder e.V.


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30. August 2013 gegen 20:45 Uhr, rheinaufwärts...
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Ballermann goes Rhein (Ton: *klickaufsbild*) 31.08.2 013...
zwitscherbirdie - 6. Sep, 19:24
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auf dem Rhein (Köln, Nähe Zollhafen) 31.08.2013.. .
zwitscherbirdie - 6. Sep, 12:54

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